| August
2001 - von Zürich ins Loiretal Vive la France... |
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Jetzt ist er da, der Sommerurlaub 2001. Wir wollen das Projekt "Von Oberviechtach bis ans grosse Meer" weiterführen. Nach dem Ende der Vorjahrestour von Oberviechtach bis nach Solothurn wollte ich eigentlich dieses Mal von Solothurn aus weiter bis Genf und von dort aus über Lyon das Loiretal erreichen, aber im Laufe der letzten Wochen und Monate war der Jura und der Fluss Doubs so oft ein Gesprächsthema, dass wir die nördlichere Route, also Zürich-Basel-Besancon-Nevers vorziehen. Wir werden das erste Mal in Frankreich mit dem Velo unterwegs sein und dort gibt es keine ausgebauten und beschilderten Fernradrouten wie in Deutschland oder der Schweiz. Frankreichs Strassen kenne ich bisher nur vom Autofahren und da tauchen natürlich die üblichen Horrorvisionen auf: schnelle und rücksichtslose Autofahrer, dröhnende Lastwagen-Kolonnen auf der Route Nationale... Aber mal sehen. Ich besorge mir eine Auswahl Strassenkarten im Massstab 1:100.000 und plane eine Routenführung abseits der grossen Überlandstrassen, und siehe da: theoretisch gäbe es sehr viele kleine und kleinste Strassen. In Zürich lege ich meine Arbeitsweg mit dem Velo zurück. Es hat sich immer mehr eingebürgert, dass ich für diese hügeligen 6 Kilometer auf das Arrow Pacer zurückgreife und das Utopia London immer öfter im Keller stehen bleibt. Grund dafür ist der Unterschied im Steigungsverhalten: das Arrow "klettert" einfach besser, es ist fast um die Hälfte leichter und das macht die nicht ganz so komfortable Sitzposition wieder wett. Ausserdem hat es bei der Frühlingstour eine gute Figur gemacht. Das Gepäck wird so weit wie möglich reduziert, ich wiege meine vollgepackten Taschen und komme auf 19 kg Gewicht - so wenig hatte ich noch nie dabei. Was wollen wir diesmal anders machen?
Wir (also hauptsächlich ich) versteifen uns nicht mehr so sehr auf das
Reise-Endziel. Nevers im Loiretal wäre eine nette Endstation, aber diesmal
soll der Weg das Ziel sein. Letztes Jahr haben wir uns dabei beobachtet,
wie wir die letzten Reisetage nur mehr Strecke machen wollten um so weit
wie möglich zu kommen - das Radeln war keine Lust mehr sondern Last. Auf
der jetzigen Reise wollen wir nach jeweils drei Tagen einen Ruhetag einlegen. Diese Stärkung ist nötig denn nun gesellt
sich ein hartnäckiger Begleiter hinzu: der Gegenwind, der Ungeliebte!
Die nächsten Tage wird er uns nicht von der Seite weichen und manch stiller
Fluch wird uns über die Lippen gleiten. Das Rheintal bis Zurzach ist ganz
lieblich anzusehen, obzwar dicht besiedelt, es gibt auch hier schon Industrie-
und Gewerbeanlagen, macht es uns im Sonnenschein nach einem Regenguss
jedenfalls einen freundlichen Eindruck. Das Hotel bietet abends Live-Musik
und "Dancing", was wir uns natürlich nicht entgehen lassen. So sieht man
uns später - zuerst als einzige Gäste - in den Plüschsesseln der Tanzbar
sitzen, einem Musik-Duo aus Polen oder Tschechien lauschen und leider
etwas zuviel Wein trinken. Als ich den Schlauch wechsle brennt die Sonne
schon ganz schön heiss vom Himmel. Es geht weiter. Von der anderen Rheinseite
"dunkelt" der Schwarzwald herüber, die Städte Koblenz und Waldshut-Tiengen
gleiten vorbei, ein Gartenlokal in Laufenburg lädt zu einer Mittagsrast
ein. Später hat Margrit nochmals eine Reifenpanne. "Selber schuld", denke
ich, als ich den Schlauch flicke, ich hätte ja auch auf die Idee kommen
können und den Reifen auf eventuelle Stacheln, Dornen, etc. absuchen können.
Tja, aus Fehlern wird man klug! Die Streckenführung bietet bis jetzt
keinen Grund zur Klage, im Weiteren aber müssen wir ein paar Kilometer
auf der Bundesstrasse zurücklegen - das Rheintal wird enger und es wird
schwieriger, eine velotaugliche Route zu finden. Den letzten Abschnitt
dieser Etappe legen wir auf Waldwegen zurück, bis wir in Möhlin auf dem
Campingplatz einchecken. Dort stellen wir wieder mal fest wie verschieden
doch das Thema "Radreisen" interpretiert wird: neben uns übernachtet ein
Ehepaar in den mittleren Jahren, ebenfalls mit Rad und Zelt unterwegs.
Die beiden fahren jeden Tag um die 150 km und zwar auf mittleren bis grossen
Strassen. Wohl bekomm's... Eine Ruhige war sie, diese erste Nacht im
Zelt. Niemand hat gefroren, es war leise, es hat nicht geregnet. Wenn
einen das nicht freundlich stimmt! Heute steht uns die Durchquerung des
Industriegürtels um Basel bevor. Morgens lacht die Sonne noch vom Himmel,
bald aber ziehen Wolken auf und als wir schon mitten zwischen Industrieschornsteinen,
LKW-Parkplätzen und Lagerhallen vor uns hin pedalen, fängt es zu regnen
an. Mir verschlägt es allmählich die Stimmung ob dieser geschändeten Landschaft
hier und diese Laune hält eine zeitlang so an, nicht mal die Ausgrabungen
im einst römischen Kaiseraugst heitern mich auf. Aber auch wenn es nicht
schön ist, man kommt aufgrund der hervorragenden Beschilderung doch gut
durch und irgendwann haben wir Basel erreicht, sind unten am Rhein wo
uns ein einheimischer Radler unbedingt ans andere Flussufer bringen will.
Das wäre aber total falsch! Er will das nicht einsehen! Wir wissen aber,
wo wir hinwollen und nach einigem Hin und Her und einer freundlichen Trennung
incl. frommen Wünschen sind wir dann doch in der Altstadt gelandet. Ich
bin ungerecht zu Basel, weil ich den bitteren Beigeschmack der Industriegebiete
noch auf der Zunge habe und deswegen keinen Blick für diese sehenswerte
Stadt aufbringe, im Gegenteil, ich will da nur durch! Zum Glück sind Saint
Louis und Huningue, die ersten Orte auf der französischen Seite, perfekt
für Velofahrer ausgeschildert. Auf einmal ist da der Grenzübergang. Keiner nimmt Notiz von uns, also radeln wir heraus aus der Schweiz und hinein in die EU - Vive la France! Am Rhein-Seitenkanal gibt es eine "piste cyclable", da haben wir doch schon eine gute Möglichkeit um einige Kilometer Distanz zwischen uns und der Stadt Basel zu bringen. Auf diesem Kanalweg - nicht der letzte auf unserer Reise - treffen wir eine havarierende Radfahrergruppe, denen ich mein Flickzeug leihe: schön, wenn man in Ruhe einen Apfel essen kann, während andere zur Abwechslung mal flicken... Nach Bartenstein verlassen wir den Kanalweg. Jetzt bin ich neugierig was die Strassenkategorisierung meiner Landkarten in Wirklichkeit bedeutet. Ich habe kleine weisse Strassen mit durchgezogener Linie und kleine weisse Strassen mit strichlierter Linie ausgewählt. Die mit der strichlierten Linie sind "nicht mehr betreute Strassen". So eine "Unbetreute" wartet an der nächsten Kreuzung auf uns: eine zugewachsene, gedachte Linie, in ihren besseren Zeiten wohl mal ein asphaltiertes Strässlein gewesen, jetzt so mit Gestrüpp überwuchert, dass an ein Befahren gar nicht zu denken ist. Wir wählen dann doch lieber die nächst-grössere Kategorie und nehmen dafür einen kleinen Umweg in Kauf. In einem kleinen, nett hergerichteten Dorf finden wir einen Geldautomat und sind damit endlich zahlungskräftig. Ganz beläufig machen wir eine wichtige Feststellung: In den Dörfern tut man sich schwer, Lebensmittel aufzutreiben. Supermärkte befinden sich nur mehr in den grösseren Orten. Wir sind in Frankreich, im Sundgau, genauer
gesagt. Ein hügeliger Landstrich, im Süden vom Jura begrenzt, im Norden
von den Vogesen. Weit im Osten die Höhenzüge des Schwarzwaldes hinter
der Rheinebene und im Westen, ja, im Westen treibt der Wind die Regenwolken
vor sich her. Er macht es uns nicht einfach, dieser Gegenwind! Gerade
wenn man schon den ganzen Tag unterwegs ist, sinkt die Moral dann doch
ein bisschen. Dabei ist es hier sehr schön! Irgendwie wilder, unberührter!
Woran mag das liegen? Die Felder enden in wilden Hecken, abgestorbene
Bäume "dürfen" hier stehen bleiben, Kühe und viele Pferde auf den Weiden,
ein buntes Allerlei von Gräsern und Blumen am Wegesrand. Und die Alleen!
Ab und zu schlägt das bekannte Klischee nämlich immer noch zu: eine kerzengerade,
jedoch hügelige Strasse mit Alleebäumen, irgendwo in der Ferne ein 2 CV
oder ein alter Mann auf dem Fahrrad mit dem Baguette quer auf dem Gepäckträger...
Als wir uns dem Etappenziel Altkirch
nähern, fängt es nach längerer Pause wieder stärker zu regnen an. Dummerweise
müssen wir die letzten Kilometer auf einer vielbefahrenen Strasse fahren,
was natürlich zusätzliche Energie kostet. Als wir uns die ansteigende
Strasse nach Altkirch hinaufmühen, scheint eine Hotelübernachtung erstrebenswert.
Doch bevor wir noch ein Hotelzimmer "auftun" sind wir auch schon am Campingplatz
angelangt und da der Regen aufhört und die Sonne schon wieder durch die
Wolken blinzelt, geben wir dem Zelt den Vorrang (zumal es natürlich auch
kostengünstiger ist: wir zahlen zu zweit im Durchschnitt 10 - 15 Schweizer
Franken pro Nacht). Wir lernen ein nettes Radlerpaar aus Freiburg kennen,
das gerade eine Woche Radltour durch den Jura hinter sich hat und genau
wie wir auch eher auf Genusstour sind. In der Nacht hören wir die Regentropfen auf
das Zeltdach prasseln, am Morgen sehen wir blaue Flecken im Wolkenhimmel,
so ist es recht. Wir kommen recht spät weg an diesem Tag, vor allen Dingen
weil wir im Ort noch eine grössere Geldmenge umtauschen wollen. Erst um
10.45 rollen wir hinunter zur Route Nationale, der wir leider noch einige
Kilometer folgen müssen bevor wir wieder in die stille Welt der Nebenstrassen
eintauchen dürfen. So ein Brummi schiebt schon eine gewaltige Luftmasse
vor sich her und man muss wirklich aufpassen, dass man nicht von der Strasse
gepustet wird. Auf der ganzen Reise werden wir aber nur ab und zu mal
für ein paar Minuten mit dem Schwerverkehr konfrontiert sein - zu meiner
Überraschung stelle ich nämlich bald fest, dass sich hier in Frankreich
wunderbar radeln lässt! Es existiert eine dichtes Netz an kleinen Nebenstrassen,
die wenig befahren sind und auf denen man gut voran kommt. Wir leider nicht. Und so zieht es uns recht
schnell weiter, wobei wir dummerweise den Supermarkt im Ort keine Besuch
abstatten. Wenigstens wissen wir jetzt, dass es eine Fernroute zu den
Ozeanen gibt "vers la mer", mit kleinem blauen Schild gekennzeichnet.
Wenn einem sowas Schönes wird beschert... Nun, wir folgen den Wegweisern und damit den
Treidelwegen am Kanal entlang. In diesem Bereich gibt es sehr viele Schleusen
und die Freizeitkapitäne müssen mit ihren Booten alle Nase lang warten
bis die Schleusen den Wasserspiegel gehoben oder abgesenkt haben. Der
heutige Tag scheint wirklich unserem Freund, dem Gegenwind gewidmet zu
sein. Das Wetter ist als solches zwar recht schön und nicht zu warm, aber
eben, der Wind. Der Kanalweg lässt sich gut befahren, wir winken den Bootsfahrern
zu und grüssen die vielen Angler, aber allmählich macht sich der Hunger
breit. Wir kommen durch einige Dörfer hindurch, aber nirgends finden wir
ein Lebensmittelgeschäft oder eine Bar oder ein Restaurant. Beim Dorf
"Bretagne" machen wir eine kleine Rast und vertilgen unsere letzten Proviantreste
und ab da geht's ein klein wenig besser, obwohl wir heute, nach kaum einem
Drittel der zu fahrenden Strecke, schon ziemlich ausgelaugt sind. Aber
der nächste Campingplatz liegt eben erst in L'Isle sur le Doubs ... Es kommt dann aber doch (endlich) ein kleines
Städtchen mit einer Bar, dann ein Supermarkt, es rollt sich wieder leichter
dahin. Montbeliard, eine grössere Stadt, taucht auf und unsere blauen
Schildchen "vers la mer" geleiten uns gut hindurch. Von Montbeliard sehen
wir allerdings nur die Peugeot-Fabrikhallen. Anschliessend
warten noch gut 20 km Fahrt bei strahlend schönem Wetter auf uns, mal
auf der mässig befahrenen Landstrasse, mal auf Treidelpfaden am Kanal,
bis wir endlich den Campingplatz in L'Isle sur le Doubs erreichen. Der gestrige Tag hat richtig gut getan. Heute
steigen wir voll Freude auf's Velo und rollen in den blauen Morgen hinaus.
Zuerst verfahren wir uns zwar gleich am Anfang und handeln uns ein paar
zusätzliche Kilometer ein. Naja, man gönnt sich ja sonst nichts. Kurz danach sind wir wieder auf Strecke und
werden heute den ganzen Tag durch wunderbares Gebiet fahren. Die erste
Zeit können wir heute gut ausgebaute Kanalwege durch das enger werdende
Flusstal fahren, links und rechts bewaldete Höhenzüge. Erstaunlich viele
Angler sitzen am Ufer - Frankreich scheint das Land der Petri-Jünger zu
sein. Irgendwann nehmen wir eine kleine Strasse, die uns einen Hügel hinaufführt
und in eine Juralandschaft hinein. Wir machen an einer Strassenkreuzung
Brotzeit und geniessen die Stimmung. Im Weiteren gleiten wir wieder hinab
ins Flusstal, ein nettes kleines Städtchen, Clerval, lädt mit einer Bar
am Flussufer zum Verweilen ein. Die Wirtin serviert uns Cafe au lait und
Pan au chocolat - was ist es doch schön in Frankreich zu sein! Wir sind
wieder am Flussufer unterwegs, der Ausbaugrad der Treidelwege ist unterschiedlich
- Graspisten, Schotter- und Sandwege, Asphalt - für jeden ist was dabei. Aber in diesem Abschnitt gibt es keine andere Möglichkeit, wenn sich man nicht die grosse Landstrasse am anderen Flussufer antun will. Wir kommen langsam vorwärts, denn auch heute ist es windig. Und so geht uns auch an diesem Tag relativ schnell die Puste aus, als endlich das Städtchen Baume les Dames nach einer Flussbiegung vor uns auftaucht. Dort gibt es einen "SUPER U", einen Supermarkt. Die Altstadt zieht sich den Hügel hinauf, den Geruch von Speis und Trank schon im Mund klettern wir die Steigung hinan... Oben finden wir ein nettes Örtchen vor, eine kleine Bar auch (wobei der Wirt erst mal Brot holen muss um uns ein Sandwich zubereiten zu können). Die Pause regeneriert uns wieder, die Lebensgeister kehren zurück. Im Supermarkt wird Proviant erstanden. Als wir wieder über die Doubsbrücke rollen sehen wir zu unserer Linken einen Pferdemarkt. Dummerweise fahren wir weiter. Dabei wäre das ein sehenswertes Spektakel gewesen! Tja, solche Gelegenheiten wahrzunehmen, das gibt es für uns noch zu lernen. Mit unseren geplanten kurzen Etappen
scheint es auf dieser Reise nichts zu werden, die Campingplätze folgen
hier entweder zu kurz aufeinander oder liegen dann doch über 70 km auseinander.
Also weiter. Jetzt finden wir eine kleine asphaltierte Nebenstrasse vor,
die uns im Tal bis Besançon führen wird. Dieser Flussabschnitt erinnert
sehr an die obere Donau: weiterhin dicht bewaldete Hügel mit nackten Felsformationen,
der Fluss zieht enge Schleifen. So geht das bis kurz vor Besançon, wo
wir im Vorort Chalezeule unser Zelt aufschlagen. Wieder ein strahlend blauer Morgen, nicht ein einziges Wölkchen zeigt sich am Himmel. Wir sind schon um 9.30 unterwegs. Zuerst gilt es einen Weg durch das noch ein paar Kilometer entfernt liegende Stadtzentrum von Besançon zu finden, das nicht nur mit dichtem Verkehr, sondern auch mit Steigungen aufwartet. Am liebsten würden wir natürlich unten am Doubs bleiben, doch es gibt dort keinen durchgängigen Weg. Also auf halber Höhe Richtung Innenstadt. An einer Kreuzung versperrt uns ein Hund den Weg. Nachdem wir endlich listenreich an ihm vorbei sind, entpuppt sich der eingeschlagene Weg als Sackgasse. Mit einem anderen Weg haben wir mehr Glück: zwar ist auch dieses Strässlein bald zu Ende, doch führt ein Saumpfad durch den Wald hinunter ans Flussufer. Zwei Waldarbeiter denken sich wohl ihren Teil, als wir zwei Radler unsere vollbepackten Räder den steilen, engen, überwucherten Pfad abwärts tragen, schieben, stossen (warum einfach, wenn's auch umständlich...), aber nach 200 Metern sind wir unten, wo eine asphaltierte Strasse auf uns wartet. Eigentlich wollte ich ja brav am Doubs-Ufer bleiben, um mich nur ja nicht in dem Strassengewirr Besançons zu verirren, es zieht mich jedoch irgendwie in die Altstadt und es lohnt sich! Die Stadt ist wirklich sehenswert. Neben all der mittelalterlichen Pracht thront auch noch eine riesige Zitadelle über der Stadt. Wir beschliessen, später mal ein verlängertes Wochenende hier zu verbringen. Jedenfalls kommen wir problemlos durch und ehe wir's uns versehen befinden wir uns schon am anderen Ende der Stadt. Das Flusstal weitet sich jetzt allmählich,
die Hügel treten zurück, kleine Dörfer, Bauernhöfe säumen unseren Weg.
Wir wenden uns vom Fluss ab, denn das Strässlein dem wir folgen, verläuft
parallel dazu, aber seitlich versetzt, über die leicht wellige Landschaft.
In einer dieser kleinen Ansiedlungen finden wir völlig unerwarteterweise
ein Restaurant. Man möcht's nicht glauben! Wunderbar gestärkt nähern wir
uns unserem Etappenziel Dôle, ein paar happige Steigungen wollen jedoch
noch kurz vorher bewältigt werden. Dôle wartet mit einem interessanten
Stadtpanorama auf - über Altstadtdächern erhebt sich der Turm einer gotischen
Kathedrale - der Campingplatz liegt unten am Fluss neben Tennisplätzen,
Sportanlagen und zudem gastiert hier ein Zirkus. Eigentlich wollten wir
Dôle besichtigen, sind jedoch so müde dass wir am Campingplatz-Kiosk hängen
bleiben, wo wir ein Grill-Händl mit Pommes verzehren (und das in Frankreich).
Wann habe ich so was zuletzt gegessen? Muss ja Jahre her sein. Als wir
zum Zelt zurückkehren hat sich eine Biker-Clique um uns herumgruppiert.
Die sind zwar ganz freundlich, machen aber, nachdem sie nachts von ihrer
Stadtbesichtigung zurückkommen noch allerhand "Geräusche"... ... was uns eine unruhige Nacht beschert.
Auch der wolkenlos blaue Morgenhimmel kann nichts daran ändern, dass wir
heute unausgeschlafen unsere Bahnen ziehen. Immerhin - kein Gegenwind
heute! Wie mir scheinen will sind wir auch gestern relativ verschont geblieben.
Die Landschaft westlich von Dôle ist flach, platt, eben. Felder soweit
das Auge reicht. Associationen an das Donauried werden wach. Heute ist
ein guter Velotag: ich kann das erste Mal auf dieser Reise für längere
Zeit auf das grosse Kettenblatt schalten. Bis er sich mit der Saône vereinigt
darf der Doubs hier mäandern wie er will, niemand versucht ihn mehr schiffbar
zu machen. Der Fluss dankt es mit einer unberührten Auenlandschaft, prägt
Sandbänke aus wie die Loire und ein Silberreiher lauert auf Beute, als
wir das letzte Mal über eine Doubs-Brücke fahren. So werden wohl alle
Flusslandschaften früher mal ausgesehen haben. Wir
sagen dem Fluss "A dieu", eine neue Landschaft nimmt uns nun gefangen:
die "Plaine de Bresse", eine sanftwellige Hochebene im Gebiet zwischen
dem Jura und der Saône. Wir radeln entlang einer Hügelkette nach Südwesten
und gleich einer Perlenkette reiht sich eine nette Ansiedlung an die andere.
Heute ist der heisseste Tag des Jahres, der Asphalt wirft Blasen, die
beim Drüberfahren mit einem hellen Geräusch aufplatzen. Aber der Fahrtwind
kühlt trotzdem. Ich leite uns mal wieder in die falsche Richtung, wir
fahren ein paar hundert Meter stetig bergauf, bis mir das etwas sonderbar
vorkommt und wir umgekehren... Überall wirbt man hier mit dem einheimischen
Wein, oft gibt es Degustier-Stuben. Wo wird denn hier Wein angebaut? Wir
sehen keinen Weinberg. Das verwundert und gibt natürlich Gesprächsstoff
(nichtsdestotrotz schmeckt der Burgunder, den wir uns abends gönnen, hervorragend).
Die letzten Kilometer bis Salornay sind recht anstrengend, der Campingplatz
ist aber super: wir schlagen unser Zelt direkt an einem Bach auf und haben
neugierige Enten als Nachbarn. In Salornay gibt's noch so richtige Tante
Emma Läden, den Bäcker, den Metzger, den Gemüsehändler. Ausserdem wird
Boule gespielt. In der Nähe befindet sich ein "Boulodrom" wo gerade heute
anscheinend das ganze Dorf einen Wettkampf ausficht. Dienstag, 14. August - von Salornay bis
nach Digoin (63 km) Heute wird es genauso heiss wie gestern werden.
Dabei steht uns heute eine "Bergetappe" bevor: nur mehr ein Hügelzug trennt
uns noch vom Loiretal. Zum guten Glück gilt es diese paar steigungsreichen
Kilometer gleich am Anfang zu bewältigen. Wir pedalen munter drauf los
und kommen gut hinauf. Die Panoramablicke über die Landschaft mit den
blauen Hügel und den einzelnen Gehöften entschädigen natürlich für den
Aufstieg und den vergossenen Schweiss... Als wir um 11.00 in einem kleinen Landstädtchen Rast machen, ist das Schlimmste schon überstanden. Es folgt eine wunderbare Fahrt Hügel auf, Hügel ab auf kleinsten Strässchen. Mal sieht man uns am Wegesrand im Schatten eines Baumes Brotzeit machen, ein anderes Mal steht uns eine Kuh auf offener Strasse gegenüber. Ich weiss nicht, wer da mehr Respekt voreinander hat - die Kuh oder wir (in der letzten Zeit gab's in der Schweiz Schlagzeilen, weil Wanderer beim Überqueren von Viehweiden von Kühen angegriffen und verletzt wurden!), aber wir fahren dann einfach an ihr vorbei und nichts passiert. Kurz bevor wir die Loire-Ebene erreichen, dürfen wir noch eine kilometerlange, sanfte Abfahrt geniessen. Wenn einem soviel Schönes wird beschert... Noch ein paar Kilometer am Kanal entlang schon
sind wir auf der Einflugschneise nach Paray le Mondial. Die nette Altstadt
betrachten wir von der Terasse eines Cafes aus. Wir stellen fest, dass
sich die Landschaft schon wieder ändert: es ist alles trockener hier,
verbrannter. Die letzten Kilometer bis Digoin verlaufen auf vielbefahrener
Landstrasse, dafür geht es schnell (Rückenwind!). Der heutige Campingplatz
liegt direkt an der Loire. Leider auch die Route Nationale - wir werden
wegen dem Verkehrslärm (und auch wegen der Hitze) wieder mal eine unruhige
Nacht haben. Vorher aber spazieren wir noch durch die Stadt, bewundern
die Kanalbrücke, die Platanenallee am Flussufer, die - auch hier sehenswerte
- Altstadt, besuchen die Kathedrale und freuen uns natürlich über die
Loire, die hier schon ein breites Bett ausgebildet hat, mit Sandbänken
und Altwassern. Ich möchte hier die überaus freundlichen Campingplatz-Betreiber
erwähnen, die uns am Morgen ein Frühstück richten. Natürlich fängt auch
dieser Tag heiss an. Die ersten 25 km bis zum Ort Diou müssen wir wieder
Treidelpfade benutzen, und zwar am flussbegleitenden Kanal, nicht an der
Loire selber. Diese Wege sind verschieden ausgebaut - von der Graspiste
bis Asphaltstrasse ist da alles drin. Charakteristisch ist das in regelmässigen
Abständen Wiederkehren der Schleusen. Nach jedem Kilometer wird der Kanal
durch eine Schleuse reguliert, d. h. der Pfad steigt ein paar Meter an
und nach der Schleuse muss man erstmal schauen, auf welcher Kanalseite
der Weg besser zu befahren ist. Es ist nicht ganz so angenehm zu befahren,
einmal kehren wir auch nach einigen Metern wieder um und wechseln ans
andere Ufer, aber es ist immer noch tausendmal besser als sich dem Schwerverkehr
auf der Route Nationale auszusetzen. Diou ist bald erreicht, wir wechseln auf die D15, eine Nebenstrasse, die fast kerzengerade, wie mit dem Lineal gezogen, nach Norden führt. Strassendörfer, Agrarland, man bewässert hier künstlich. Es ist eine uninteressante Gegend. Das Bild ändert sich als wir ins Departement Nivernais wechseln: es gibt wieder Viehweiden und Hecken. Der Wind treibt uns heute von hinten an deswegen machen wir so richtig Kilometer. Ich fahre konstant mit dem grossen Kettenblatt, wir kommen gut und schnell vorwärts - wenigstens eine Freude an einem ansonsten langweiligen Fahrtag. Wir treffen ziemlich früh in Decize
ein, auch hier befindet sich der Campingplatz direkt am Loire-Ufer. Dort
gibt es leider weder Kiosk noch Restaurant, die vier Sterne, mit denen
der Campingplatz ausgezeichnet ist, beziehen sich wohl auf die moderne
Einfahrt. Also brechen wir zum Abendessen nochmals auf. Eine Gewitterfront
ist ziemlich schnell aufgetaucht und während wir unser Zelt besser abspannen,
greifen die Sturmböen schon in die Wipfel der grossen Alleebäume und richten
dort allerhand Unheil an. Zum guten Glück zieht das Unwetter seitlich
an uns vorbei, es beschert uns jedoch reichlich Regen mit der ersehnten
Abkühlung. Wir liegen im Zelt wo sich bei offener Tür das Gewitter schön
betrachten lässt. Wir verpacken heute morgen natürlich ein nasses
Zelt. Es regnet noch als wir zu unserer letzten Etappe nach Nevers aufbrechen.
Die Landschaft ist saftig und üppig und es ist relativ warm. So kurbeln
wir durch den langsam nachlassenden Regen nach Norden. Wir folgen weiterhin
der gestrigen Landstrasse, es ist weiterhin schnurgerade und flach, vielleicht
etwas mehr Verkehr als am Vortag. Die Wolken ziehen tief, ab und zu kommt
die Sonne kurz durch. Je mehr wir uns dem Endpunkt unserer Reise nähern,
desto trauriger werden wir. Wir sind uns schon lange darüber einig, dass
diese Reise unsere schönste Veloreise war. Die Etappen waren zwar
etwas länger als geplant und 10 km weniger pro Tag hätte auch nicht geschadet,
aber ansonsten war es wunderbar. Einzig mit der Ernährung hatten wir diesmal
Versorgungsprobleme: das französische Brot - so gut es auch schmeckt -
hat einfach zu wenig Kohlehydrate. Nevers, geschichtsträchtige Stadt an
der Loire. Auch hier thront eine gotische Kirche über Altstadtdächern,
eine alte Steinbrücke überspannt den Fluss. Wir wissen immer noch nicht
wie wir nach Hause kommen werden. Wir fahren erst mal zum Bahnhof um uns
zu informieren. Nach kurzer Zeit haben wir zwei Tickets nach Zürich in der Hand, spottbillig: ca. 100 Franken pro Person, Velos reisen umsonst. Der Wermutstropfen: wir können nur Regionalzüge benutzen, das bedeutet 6 mal umsteigen (Nevers-Dijon-Besançon-Belfort-Mulhouse-Basel-Zürich) und müssen am nächsten Morgen um 5.45 abfahren. Gegenüber auf der anderen Seite des Bahnhofsplatzes finden wir gleich ein Hotelzimmer zu ebenfalls günstigen Preisen - in Ermangelung eines Abstellraumes "dürfen" wir unsere Velos in unser Zimmer im dritten Stock mitnehmen (natürlich ohne Lift). Auf einmal ist alles erledigt, einer
Siesta steht nichts mehr im Wege. Später sitzen wir nach der Stadtbesichtigung
unten an der Loire und schauen nach Westen. Dort ist irgendwo der Atlantik.
Aber das Meer kann man beim besten Willen noch nicht riechen, es sind
immer noch mehrere hundert Kilometer bis dorthin... Zu völlig untypischer Zeit klingelt heute der Wecker und reisst uns aus dem Schlaf. Heute ist Arbeit angesagt: Velo und Gepäck treppauf, treppab schleppen, Bahnsteige wechseln, Velos verladen. Im Grossen und Ganzen verläuft die Rückreise problemlos, wir haben genug Zeit zum Wechseln der Züge - das Einzige was nervt ist die Wartezeit auf die Anschlusszüge - die französischen Bahnbeamten sind sehr nett und freundlich, wobei Radreisende wirklich nicht zum alltäglichen Erscheinungsbild auf französischen Bahnhöfen gehören, jedenfalls werden wir öfter mal ungläubig angestarrt...
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